Jüdischer
Friedhof
Münster
Der jüdische Friedhof an der Einsteinstraße in Münster ist ein Zeugnis von 200 Jahren jüdisch-deutscher Geschichte im Münsterland
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Haus der Ewigkeit:
Ort der Toten –
Ort lebendiger
Erinnerungen
Ein Friedhof gilt im Judentum als „Beth Olam“ – „Haus der Ewigkeit“. Die Grabsteine werden nicht abgeräumt und Grabstätten auch nicht nach einer bestimmten Frist weitergegeben. Deshalb sind jüdische Friedhöfe kostbare Zeugnisse jüdischer Geschichte, die an manchen Orten Westfalens bis ins Mittelalter zurückreicht.
Auch in Münster gab es bereits im 13. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde; ihr Begräbnisplatz lag auf dem Gelände des heutigen Gymnasium Paulinum. Sie wurde im Zuge der Pestpogrome 1348–1350 ausgelöscht. Im 16. Jahrhundert, zur Zeit des Bischofs Franz von Waldeck, lebten noch einmal jüdische Familien in Münster, die aber wohl keinen eigenen Begräbnisplatz hatten und nach dem Tod des Bischofs vertrieben wurden. Erst als Münster im Gefolge der Französischen Revolution unter die Herrschaft Frankreichs gekommen war und man die neuen Rechte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchsetzte, wurde Juden ab 1810 erneut die Niederlassung gestattet. Damit beginnt auch die Geschichte des Friedhofs an der Einsteinstraße.
Der älteste Grabstein auf dem Friedhof ist der von Sophie Haindorf geb. Marks, die im Alter von erst 25 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter starb
Die frühen Jahrzehnte
Es war der Wunsch schon der ersten jüdischen Familien, die nach Münster kamen, hier auch einen eigenen Begräbnisplatz zu haben. Der frühe Tod eines Kindes im Januar 1811 führte dazu, dass man offi ziell beim Bürgermeister der Stadt den Antrag stellte, einen Ort für den Friedhof zugewiesen zu erhalten. Kurz vorher waren auch die christlichen Friedhöfe vor die Tore der Stadt verlegt worden, so dass die Wahl auf ein Stück Gartenland vor dem Neutor fiel. Nach längerem politischen Hin und Her kam im Juli 1812 schließlich die Bewilligung.
Aus den ersten fünf Jahrzehnten (1811/12–1860) gibt es nur wenige Spuren. Nach Ausweis der Personenstandsregister (soweit sie erhalten sind) müssen es anfangs vor allem Kinder gewesen sein, die beigesetzt wurden, vereinzelt auch ältere Menschen, die zusammen mit ihren Familien nach Münster gezogen waren. Aber auch junge Frauen sind darunter, die die Geburt ihres Kindes nicht überlebt haben. Der älteste Grabstein auf dem Friedhof ist der von Sophie Haindorf geb. Marks, die am 16. September 1816 im Alter von erst 25 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter starb. Sie war verheiratet mit dem Arzt und Dozenten für Medizin Dr. Alexander Haindorf. Er blieb nach dem Tod seiner Frau Witwer und wurde 1862 bei seiner Frau bestattet; ihren Gedenkstein von 1816 übernahm man in die neue Grabgestaltung.
Die preußische Zeit
Aus den Jahrzehnten ab 1860 ist der bedeutendste Grabstein der von Abraham Sutro, der von 1815 bis zu seinem Tod 1869 als sogenannter Landrabbiner für Westfalen amtierte und damit eine wichtige politische Vermittlung zwischen den jüdischen Gemeinden Westfalens und der preußischen Regierung darstellte.
1887 erstand die inzwischen erheblich gewachsene Synagogengemeinde vom bischöflichen Generalvikariat ein angrenzendes Grundstück nach Westen hin. Die hier zahlreich erhaltenen Grabsteine zeigen das Selbstbewusstsein der Familien im Kaiserreich, als Deutsche jüdischen Glaubens Teil der Stadtbevölkerung zu sein. Hebräische Inschriften, die auf den älteren Steinen großes Gewicht haben, treten zurück; die Gestaltung der Gedenksteine ähnelt in Stil und Geschmack dem der christlichen Mehrheitsgesellschaft. So finden sich Jugendstil- und Bauhauselemente und sogar figürliche Darstellungen, die in der jüdischen Tradition eigentlich verpönt sind.
Die hier zahlreich erhaltenen Grabsteine zeigen das Selbstbewusstsein der Familien im Kaiserreich, als Deutsche jüdischen Glaubens Teil der Stadtbevölkerung zu sein.
Vom Dritten Reich bis in die Gegenwart
Im Januar 1936 wurden laut Gestapobericht auf dem münsterischen Begräbnisplatz ‚eine Reihe von Grabsteinen‘ umgeworfen. Während des Zweiten Weltkrieges zerstörte eine Bombe den ältesten Teil des Friedhofes. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurden zwecks Einschmelzung für die Rüstungsindustrie zahlreiche metallene Grabumrandungen entfernt. Am 10. Juli 1944 forderte das ‚Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands‘ vom Stadtarchiv Münster eine Bestandsaufnahme des Friedhofs, da der ‚Weiterbestand der Judenfriedhöfe‘ fraglich sei. Offensichtlich war an eine Enteignung oder Veräußerung gedacht, die jedoch nicht zustande kam. Bis zur letzten Deportation im Juli 1942 fanden noch Beisetzungen statt. Eine Reihe von Grabstätten spiegelt die auf Vertreibung und schließlich Vernichtung der Juden zielende Politik des Dritten Reiches: einer der Ehepartner ist noch in Münster bestattet, der zweite Teil der Gruft bleibt leer.
Nach dem Holocaust kamen vereinzelt jüdische Familien nach Münster zurück und begründeten die Gemeinde neu. Darunter sind vor allem Siegfried und Else Goldenberg zu nennen, die auf dem Friedhof an der Einsteinstraße beigesetzt sind. Nachdem die Gemeinde durch den Zuzug von jüdischen Familien aus der ehemaligen Sowjetunion ab den 1990er Jahren stark anwuchs, war absehbar, dass bald weitere Begräbnisfl ächen benötigt würden. Im Jahre 2002 stellte die Stadt einen vom christlichen Teil abgetrennten Begräbnisplatz auf dem städtischen Friedhof „Hohe Ward“ in Hiltrup zur Verfügung.
Der Friedhof an der Einsteinstraße wird seitdem nur noch von Gemeindemitgliedern, die dort bereits eine Grabstätte besitzen, genutzt. In den Jahren 2012–2015 wurden die ca. 400 Grabsteine des Friedhofs am Seminar für Exegese des Alten Testaments der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster Münster dokumentiert. Die digitale Dokumentation mit Fotos, Transkriptionen und Übersetzungen der Grabsteine sowie weiteren Informationen zu den dort bestatteten Personen ist zugänglich unter
Idee u. Text: Bild 1–13: Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M. A., Katholisch Theologische Fakultät der Universität Münster Münster, Verein zur Förderung des Jüdischen Friedhofs, an der Einsteinstr. Münster e.V.
Fotos u. Quellen: Bild 1–13: Dipl.-Theol. Ludger Hiepel M. A., Katholisch Theologische Fakultät der Universität Münster Münster, Verein zur Förderung des Jüdischen Friedhofs, an der Einsteinstr. Münster e.V.