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Stolpersteine Lengerich

Erinnerung an die ermorde­ten Leonore Kaufmann und Albert Abrahamson und ihre Lebenswege.

Lebensweg
Leonore Kaufmann

geboren am 13. Dezember 1902
in Lengerich / Westf.

Schule

1909

Volksschule, danach private Töchterschule

1917

Städtisches Lyzeum Osnabrück

1921

Mädchengymnasium Stuttgart

1924

Annette von Droste-Hülshoff Schule Münster, Reifezeugnis

Jura-Studium/ Staatsdienst

1924

Jura-Studium in Münster und Freiburg

12.07.1929

Erstes Juristisches Staatsexamen bis

29.12.1929

Referendariat Staatsanwaltschaft Hamm

1930 bis 1931

Amtsgericht und Landgericht Münster bis

29.03.1932

Oberlandesgericht Hamm bis

12.05.1933

Ausbildung bei Justizrat Cohn in Münster

31.05.1933

Zwangsweiser Verzicht 2. Staatsprüfung

o4.09.1933

laut „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Jüdin aus dem Staatsdienst entlassen
Schwarz-weiß Fotografie einer Straße mit Kopfsteinpflaster. Die Häuser links und rechts sind zweistöckig. Das linke Haus steht etwas zurückgesetzt; davor ein großer Baum.

Elternhaus an der Bahnhofstraße 17, Slg. Fotohaus Kiepker

Lebenslauf

(Transskription des handgeschriebenen Lebenslaufes) Ich bin am 13. Dez.1902 als Tochter des Kaufmanns Salomon Kaufmann in Lengerich i/W. geboren. Hier besuchte ich zunächst 4 Jahre die Volksschule u. darauf 4 Jahre eine Privattöchterschule. Von Ostern 1917 ab kam ich in die dritte Klasse des städt. Lyzeums zu Osnabrück, auf dem ich Ostern 1920 das Abschlußzeugnis erhielt.

 

Ich war darauf ¾ Jahre zu Hause u. kam dann auf das Mädchengymnasium nach Stuttgart, das ich nach 2 ¼ Jahren im Jan. 1923, wegen infolge der Inflation eingetretener finanzieller Schwierigkeiten, verlassen mußte. Vom Jan. 1923 an besuchte ich dann die Annette von Droste-Hülshoff-Schule in Münster, die ich vom Wohnort meiner Eltern aus täglich erreichen konnte. In Münster erhielt ich im Februar 1924 das Reifezeugnis.

 

Ich widmete mich sodann vom S.S. 1924 an bis W.S. 1927 dem Studium der Rechts- u. Staatswissenschaften an den Universitäten Münster u. Freiburg. Das nähere über den Studiengang bitte ich beiliegender Anlage entnehmen zu wollen. Von W.S. 1927 ab bis jetzt habe ich mich aufs Examen vorbereitet.

 

Leonore Kaufmann

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Brief von Leonore Kaufmann an
ihren Bruder, gelesen von Mar-
lene Alich, Schülerin am Hannah
Arendt Gymnasium Lengerich
Fiktiver Brief Leonores aus der Heil- und Pfle­geanstalt in Bendorf-Sayn. Zeichnung und Text: Marlene Alich, Schülerin am Hannah Arendt Gymnasium Lengerich 2020

Prekäre Arbeit und Krankheit

1936–1938

Haustochter in Werther, später in Berlin

07.03.1938

Leonore aus Berlin zurück nach Lengerich

Mai 1938

Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg Herbst 1938 Umzug zu Bruder Richard nach Saarbrücken

26.12.1938

Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn

15.03.1939

Dr. Jacoby diagnostiziert Schizophrenie

02.05.1939

Erbgesundheitsgericht Koblenz beschließt Zwangs­sterilisation; sie legt Widerspruch ein

29.08.1939

Ein Beschluss des Erbgesundheitsgerichts Koblenz: Zwangssterilisation wird ausgesetzt

Beschluss

(Transskription der Patientenakte)

16 XIII 94/39. Beschluss. Das Erbgesundheitsgericht in Koblenz hat in seiner Sitzung vom 2. Mai 1939 beschlossen: Leonore Sara Kaufmann, aus Lengerich, Westf. geboren daselbst am 13.12.1902, zur Zeit in der Dr. Jakoby‘schen Heil- und Pflegeanstalt, ist unfruchtbar zu machen. Gründe: Das zuständige Gesundheitsamt Koblenz hat den Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt. Nach dem beigefügten Gutachten des Anstaltsleiters leidet K. an Schizophrenie. Das Erbgesundheitsgericht hat weitere Ermittlungen angestellt, insbesondere das Krankenblatt der Anstalt Grafenberg beigezogen und die Kranke persönlich vernommen sowie das Krankheitsbild mit dem Anstaltsleiter eingehend erörtert. Die Kranke hat dem Erbgesundheitsgericht selbst ihre Wahnideen geschildert. Sie erzählt von der Stimme, die sie höre und die ihr zugerufen habe: „Ich bin Dein Gott“. Diese Stimme begleite sie noch immer. Wenn die Stimme ihr etwas verboten habe zu tun, z.B. ihren Namen auszusprechen, habe sie es nicht gekonnt. Dadurch sei sie von der Kraft der Stimme überzeugt worden. Die Stimme habe ihr auch gesagt, sie sei eine Tochter aus dem Hause Davids. Sie habe anfangs geglaubt, die Stimme sei die des Rabbiners Nusbaum in Berlin. Näheres ergibt das Krankenblatt der Anstalt Grafenberg. Wenn dort bei dem ersten Krankheitsschub die Diagnose auf Schizophrenie noch nicht mit Sicherheit gestellt werden konnte, so kann nach dem weiteren Verlauf, insbesondere dem neuen Ausbruch der Krankheit im Dezember 1938 an dem Vorliegen einer Schizophrenie kein Zweifel bestehen. Es handelt sich um die paranoide Form dieser Krankheit. Der formale Intellekt ist kaum gestört, sodass die K. ihre Vermögensangelegenheiten selbst gut erledigen kann. Bei Schizophrenie besteht nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft die dringende Gefahr einer Vererbung auf die Nachkommenschaft. Die Unfruchtbarmachung ist daher auf Grund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses geboten.

Gez. Arntz, gez. Dr. Federhen, gez. Dr. Kilb.

Scan einer maschinenschriftlichen Archivalie.
Patientenakte Leonore Kaufmann – Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 512,001, Akte Nr. 2568

Deportation und Ermordung

15.06.1942

Deportation mit Transport DA 22/Koblenz – Köln – Düsseldorf ins KZ Sobibor, dort ermordet
Messingfarbener Stolperstein für Leonore Kaufmann.
Stolperstein für Leonore Kaufmann

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“

[Talmud]

Schwarz-weiß-Fotografie eines Platzes mit Autos und Fahrrädern. Um den Platz verschiedene Gebäude, manche mit Klinker, Fachwerk oder Stuck, im Hintergrund ein Turm.
Elternhaus am Rathausplatz 11 – Quelle: Stadtarchiv Lengerich

Lebensweg
Albert Abrahamson

geboren 11. März 1896 in Lengerich/ Westf.

Schule und Bildung

Bisher unbekannt

26.05.1917

1. Weltkrieg, „leicht verwundet“

Krankheit

15.06.1932

Einweisung in Provinzial-Heilanstalt Lengerich

Deportation und Ermordung

17.09.1940

Im Rahmen der Aktion T4 (sog. „Euthansieprogramm“) von Lengerich zur Wunstorfer Heilund Pflegeanstalt überstellt

21.09.1940

Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf, weitere Deportation nach Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch (Sammlungsstelle jüdischer Kranker)

27.09.1940

Albert ermordet in der T4-Tötungsanstalt Brandenburg a. d. Havel
Scan einer maschinenschriftlichen Archivalie.
Meldekarte, Stadt Lengerich – Quelle: Stadtarchiv
Scan einer maschinenschriftlichen Archivalie.
Transporte 1940 – 1941 – Quelle: LWL-Archivamt, Akte 840-22
Messingfarbener Stolperstein für Albert Abrahamson.
Stolperstein für Albert Abrahamson
Vierstöckiges verklinkertes Gebäude mit vergitterten Fenstern; zwei Eingänge; davor eingezäunte Rasenflächen
Tötungsanstalt Brandenburg – Quelle: Gedenkstätten Brandenburg an der Havel

Tötungsvorgang

Die Patientinnen und Patienten werden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Brandenburg ermordet. Nach Geschlechtern getrennt müssen sie sich entkleiden. Dann erhalten sie einen Stempel auf die Brust. Die Personalien werden überprüft. Zuletzt werden sie einem Arzt vorgeführt, der eine natürliche Todesursache für die Sterbeurkunde erfindet, fotografiert und anschließend in die Gaskammer gebracht. Ein Arzt lässt Kohlenmonoxid in den Raum ein und beobachtet die Tötung durch ein kleines Fenster. Nach Abschluss der Ermordung brechen SA- bzw. SS-Männer den Leichen die Goldzähne aus und bringen die Körper zu den Verbrennungsöfen.

aus: 1940 T4- Mordstätte Brandenburg, Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde SBG Website: www.brandenburg-euthanasie-sbg.de / Status: 12.10.2020

Auftrag Hitlers vom Oktober 1939 zu den „Euthanasie“-Morden (rückdatiert auf den 1. September 1939) mit einem handschrift­lichen Vermerk von Reichsjustizminister Gürtner. Philipp Bouhler war SS-Ober­gruppenführer und Leiter der Kanzlei des Führers (KdF).

Scan einer maschinenschriftlichen Archivalie, mit handschriftlichen Beischriften und Stempel.
Auftrag Hitlers vom Oktober 1939 zu den „Euthanasie“-Morden

Abbruch der Aktion T4

Joseph Goebbels’ Tagebuch 31. Januar 1941:

 

„Mit Bouhler Frage der stillschweigenden Liquidierung von Geisteskranken besprochen. 40.000 sind weg, 60.000 müssen noch weg. Das ist eine harte, aber auch notwendige Arbeit. Und sie muß jetzt getan werden. Bouhler ist der rechte Mann dazu.“

zit. nach: Ralph Georg Reuth: Joseph Goebbels – Tagebücher, Band 4, München 1998

Idee u. Text
Klaus Adam, Bernd Hammerschmidt
Fotos u. Quellen
Fotohaus Kiepker; NRW-Staatsarchiv Münster; Marlene Alich,
Hannah Arendt Gymnasium; Stadtarchiv Lengerich; LWL-Archivamt; Gedenkstätten Brandenburg an der Havel; Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde SBG Website: www.brandenburg-euthanasie-sbg.de; Joseph Goebbels – Tagebücher, Band 4, München 1998; Wikipedia; Auftrag Hitlers – Gemeinfrei, Wikipedia Creative Commons CC0 License